BLACK is BEAUTIFUL



KOHLENKLAU UND DIE UNIFORM DER KREATIVEN WELT

Wer ein Stück glänzender Kohle im hellen Sonnenlicht betrachtet, stellt fest, dass es wie ein Edelstein schillern kann. Mikroskopische Aufnahmen zeigen, dass schwarze Kohle tatsächlich ein farblich buntes Gemenge ist. „Ich habe dieses Schimmern im Sonnenlicht, diese Farbigkeit, bereits als Kind entdeckt“, sieht Ulrich Pracht eine der Wurzeln seiner Affinität zur Farbe Schwarz. Ein kreativer Geist, der mit der Kohle und den traditionellen Sichtweisen seiner Zeit groß wird: Kohle steht für Energie und Wirtschaftswunder, Schwarz für Trauer und Tod, aber auch für Macht und Würde. Der Vater und der Großvater legen ihre Arbeitskleidung ab und holen ihren schwarzen Anzug aus dem Schrank, wenn ein hoher Feiertag oder eine Beerdigung auf dem Kalender stehen, oder wenn sie die Miete beim Hausbesitzer in bar entrichten. Schwarze Schatten legen sich im Winter auf den weißen Schnee, wenn im Ruhrgebiet der 50er Jahre die Schlote rauchen. Und schwarz ist die Deputatkohle, die Ulrich als Kind mit der Pannschüppe tonnenweise in die Keller der Nachbarn aus dem Bergbau schippt, um sich ein paar Groschen nebenher zu verdienen. Bis zu sieben Tonnen bekommen die Kumpel jeden Winter für den Herd und den Ofen. Schwarz streicht Ulrich auch sein Fahrrad an, sogar die Felgen. Nur der Len- ker, der Dynamo und die neue Frontlampe, die es als Weihnachtsgeschenk gibt, glänzen chromfarben. Eine Agfa Clack ist die erste Kamera, mit der Ulrich Pracht als Teenager seine Umgebung in Schwarz-Weiß fotografiert. Die Mittelformatkamera ist mit einer 95-mm-Meniskuslinse ausgestattet und hat nur zwei Belichtungszeiten. Es wird ein 6×9-Rollfilm mit acht Aufnahmen verwendet. Mit ihr hält der junge Mann seine Umwelt fest, lichtet Menschen und Landschaften ab.

Während der Dekorationslehre und des Studiums wird ihm die Kraft der schwarzen Kohle im kreativen Kontext bewusst. „Mit einem Stück Kohle konnte man Zeichnungen anfertigen – das war eine interessante Entdeckung.“ Akte und andere Skizzen wirft er mit flinker Hand auf das Zeichenpapier. Schwarze Kleidung als „Uniform“ der kreativen Welt begegnet Ulrich Pracht ebenfalls während der Ausbildung. Paul Maenz, Lehrlingskollege im Westfalen-Kaufhaus, der später ein weltberühmter Galerist wird, kommt in engen Breitcordhosen und Samtweste – ganz in Schwarz – zur Arbeit. Ulrich will es ihm nachtun. Gut, dass seine Mutter eine geübte Näherin ist und ihm die gewünschten Kleidungsstücke – Hosen, eine Jacke und einen Mantel – auf den Leib schneidert!